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Wort und Wahrheit

Habe nun, ach! Philosophie, Juristerey und Medicin. Und leider auch Theologie! Durchaus studirt, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Thor! Und bin so klug als wie zuvor.

Kommissar Prollack und das Phantom von Halberstadt

1. Akt, 1. Aufzug

Prollack war damals, es war sein erster Job für die Kripo gewesen, zum gefeierten Helden geworden, nachdem er den Burschen kurzerhand vom Zugdach geschossen hatte. Dazu war nur ein Schuss nötig gewesen, der – wie an der Leine gezogen – verblüffend zielstrebig zwischen den Augen des kriminellen Elements eingeschlagen war, obwohl in der angesagten Nacht gehörig Nebel waberte und Prollack abends noch unten am Bahnhofseck mit ein paar spendablen Albanern ordentlich Klaren hintergeschüttet hatte.

Der Kommissar hatte nie in Erfahrung bringen können, ob es Major Webel damals wohl wehgetan hatte, dass die Zeitungen ihn, Prollack, zum Helden hochzogen, ihn ausgerechnet, der eine Woche zuvor noch mitten an seiner Karriere als freier Kontrolleur des Gesundheitsamtes arbeitete, singend über die Lande zog und die Zähleinheiten von elektrischen Gemüseschneidern auf Betrugshinweise untersuchte. Ja, darin war der Kommissar gut gewesen. Zu gut wahrscheinlich. So gut, dass man irgendwo da ganz oben auf seine begnadigten Fähigkeiten aufmerksam wurde, so als wären sie allesamt mit der Nase voraus in eine viel zu kleine Tasse brühheißen Moccas gestoßen worden, die hohen Herren. Zwölf Jahre waren seit diesen wilden Zeiten durchgelaufen und seit zwölf Jahren hatten Prollack und Major Webel kein Wort mehr miteinander gesprochen. Im Prinzip stimmte das natürlich nicht in allen Ecken, denn man sagte sich oft ‚Guten Morgen!’, ‚Guter Fang!’ und die sonstigen Nettigkeiten im Polizeialltag. Auch wenn Prollack den Webel, der ja – vom Papier gesehen – schließlich nun auch sein Untergebener war und damit im Prinzip eh nichts zu sagen hatte, freundlich darum bat, mal seine Dienstwaffe zu halten, wenn der Kommissar sich in einer heißen Jagdszene dringend die Schuhe binden musste, quittierte er das immer mit einem fast indiskreten Brummen. Meistens war das allerdings nicht nötig, weil man die Waffe prima mit dem Abzug nach oben in Webels Handhaken einklinken konnte – da hing sie dann doch sehr ordentlich und praktisch.

Nur privat sprachen sie ganz wenig. Einmal kam Prollack frisch reingeschneit, als der Webel in der Revierbar morgens ein paar niedliche Kinderfotos rumgereicht hatte. Prollack, der sich fast den Hals verrenkte, um einen Blick abzukriegen, konnte aber nichts so recht erspähen, da ihm frühe Schnäpse doch stärker zusetzten, als das die meisten in seiner Abteilung vermutet hätten. Und weil er sich nie etwas anmerken ließ, hatte er nur gefragt, ob die Kleinen denn auch schon Haken hätten. Natürlich wusste er selbst, dass das unsinnig war und kein direktes Erbgut bildete, aber der Raum hatte sich gerade irgendwie irritierend in die falsche Richtung gedreht und Prollack hatte infolgedessen wohl etwas verwechselt. Sachen eben, die der Erfahrung nach auch schon ganz anderen erfolgreichen Ermittlern unterlaufen waren. Natürlich musste dieser schnöselige Kai-Anne Schmidtlein gleich so richtig in die offene Bresche springen und mit allerlei Belehrungen so richtig Wind machen. Der Herr „verdeckte Ermittler“ aus der Sondereinheit „Gewerbsmäßiger Digitaldruck“. Auch ganz ohne Sonnenbrille gesehen, eine unsoziale Ratte vor dem Herren, ein Kollegenschwein wie aus dem Musterhauskatalog. Den hatte der Inspektor wirklich komplett gefressen und ausgerechnet diese Figur, die sich damals beim Raubüberfall auf das Uhrengeschäft als die Einbürgerung der Inkompetenz erwiesen hatte und nicht einmal in der Lage war, glaubwürdige Zeitzeugen zu finden, fuhr ihm jetzt mit Oberlehrerton durchs Wort.

Die große Schnauze hatte der Kommissar ihm dann gleich am nächsten Tag abgewöhnt, indem er dem Arschloch mal zeigte, was die Hacke eines Vorgesetzten ist und ihn in die Gerichtsmedizin versetzen ließ. Und zwar direkt zu den ganz Harten, nämlich da, wo sie Organe durchgucken und der Frage nachgehen, ob diese für einen Mord in Frage kommen. Da hatte das Großmaul sich eine Woche lang quasi die Galle rausgekotzt, bis er dann freiwillig den Dienst hinschmiss. So eine rückgratlose Oberpfeife. Prollack hatte dafür gesorgt, dass man die ganze Schweinerei direkt auf der Internetseite vom Revier per Webkamera mitverfolgen konnte, damit ein paar gewisse Pappkameraden, die auch auf seiner Liste von Disziplinlosigkeit standen, gleich vor Augen geführt bekamen, was am Hasen lang lief.

Im Prinzip hätte die Krause mit ihrer zum Schreien aussehenden Dauerwelle schon ewig nichts mehr im Revier verloren gehabt, weil sie nun mal eine kriminaltechnische Verwaltungskraft im verdienten Ruhestand verkörperte, aber die Sache mit den Akten war Prollack zunehmend auf die Nerven gegangen. Dieses ewige Rumgeschiebe, die ganze planlose Sucherei und ständig fielen dann auch noch leere Likörflaschen ins Bodenlose, wenn man was falsch anhob. Das alles störte seine Konzentration ganz erheblich und genau die brauchte ein sensibler Ermittler nun mal: Konzentration war in dem Job mehr oder weniger der linke Fahrstreifen auf der Überholspur. So bekam die Krausin jetzt monatlich 200 Euro schwarz, um sich die Rente aufzubessern, durfte Gurkeneintopf in der Kantine zum halben Preis mitnehmen und die Akten standen seit dieser Maßnahme wieder geräusch- und staubarm in Reih und Glied – genau so, wie es sich für eine deutsche Kripostube gehörte, schließlich war man ja nicht auf dem Balkan. Manchmal konnte man Prollack für sein organisatorisches Händchen wirklich nur ausdrücklich belobigen.

Egal auch, denn der Chinese war nun einmal da und Prollack sorgte persönlich dafür, dass er einen Beamtenvertrag kriegte, denn wenn der Chinese eines konnte, dann bestimmt Kaffee kochen und das war in ihrem Kommissariat eine seltene Gabe. Es war einfach die beste Atmosphäre für Ermittlungen aller Art, wenn man mittags ins Büro kam und schon eine duftige Wolke aus frischem Bohnenkaffee mit einem guten Schuss Asbach und Sahnehaube auf den Fluren ausgebreitet lag.

Wird gelegentlich fortgesetzt...