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Wort und Wahrheit

Habe nun, ach! Philosophie, Juristerey und Medicin. Und leider auch Theologie! Durchaus studirt, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Thor! Und bin so klug als wie zuvor.

Marode Wurzeln – Die Entthronisierung der Queen of Crime

Zu Agatha Christie ist eigentlich schon so gut wie alles geschrieben worden. In erster Linie natürlich Lobeshymnen jeglicher Art. Eines jedoch, stand selten zu lesen: Agatha Christie, deren Vorname in hiesigen Breiten bevorzugt vollkommen unenglisch ausgesprochen wird, schrieb Zeit ihres Lebens ziemlichen Stuss und sorgte mit dafür, dass ein gehöriger Teil der Kriminalliteratur des 20. Jahrhunderts zu einem Einheitsbrei wurde, der im Prinzip auf ein einziges, gemeinsames Motiv reduziert werden kann: Entsetzliche Klugscheißerei.

Würde der durchschnittliche Christie-Leser, der mindestens 20 ihrer meist doch eher dünnen Büchlein konsumiert hat, ehrlich zu sich selbst sein, wäre die Grande Dame des aristokratisch bemäntelten Mordens und Totschlagens schon längst entzaubert worden. Aber was das Thema Eitelkeit angeht, war Agatha wohl eine perfekte Kennerin ihrer potentiellen Leserschaft. Das verdient in gewissem Maße durchaus Respekt und wird von modernen Marketingmanagern wahrscheinlich als perfekte Zielgruppenanalyse betrachtet.

Wer sich als Christie-Fan bezeichnet, ist ein notorischer Lügner. Wobei ich nicht jeden Angehörigen dieser Gruppe als generell bösartig oder moralisch verlottert bezeichnen möchte. Viele wurden einfach Opfer besonderer Umstände und brachten am Ende nicht mehr die Kraft auf, sich aus einer misslichen Zwangslage zu befreien. Das Motto für Christie-Alles-Leser lautet nämlich: Beim nächsten Mal kriege ich sie! Und sie kriegen sie natürlich nie. Wie sollten sie auch? Den Mörder in einem Christie-Roman zu erraten, bedeutet: Lotto spielen. Klar, man kann dabei mächtig Schwein haben und den Jackpot knacken, aber das hat dann weniger mit analytischen Fähigkeiten zu tun. Die Aussage: „Auf Seite 207 wusste ich ganz sicher, wie es abgelaufen ist!“, aus dem Munde eines Christie-Lesers zu hören, ist ähnlich glaubwürdig wie die Behauptung, Australier würden grundsätzlich nur durch Sohlen mit Saugnäpfen vor dem Sturz ins All bewahrt, selbst wenn die betreffende Erzählung auf Seite 211 enden sollte.

Warum ist das so? Nun, da wäre zunächst Agatha Christies Hang zu gänzlich idiotischen Settings. In der Experimentalphysik würde man das Verhängnis, das dadurch für den Leser seinen Lauf nimmt, wahrscheinlich folgendermaßen beschreiben: Je ungenauer die Ausgangsdaten, desto mieser die Qualität der Prognosen. Ist dieser Vergleich zulässig? Und ob! Wie in der Physik sind auch in der Bewertung menschlichen Verhaltens gewisse Regeln gültig – oder sagen wir: Sie sollten es sein. Einsteins Universum zum Beispiel funktioniert deshalb, weil die Naturgesetze für alles und jedes gelten, das in einer wie auch immer gearteten Relation zueinander steht. Ok, wir wollen das Thema „Christie und wie sie jegliche Logik mit Füßen tritt“ nicht aus den Augen verlieren. Nur so viel: Mörderjagd bei Tante Agatha funktioniert für uns Konsumenten alleine schon deshalb nicht, weil für Autorin und Leser nicht die gleichen „Naturgesetze“ gelten – sprich: Sie weiß Dinge, die uns bis zum Schluss verborgen bleiben und überträgt dieses Wissen in ihre schrägen Detektive. Deshalb – und weil der Leser ständig von elementar wichtigen Biographiedaten der handelnden Personen abgeschnitten wird – entwickelt sich im Laufe eines klassischen Christies eine Art Hassbeziehung zwischen ihm und dem oberschlauen Ermittler, die oft so weit geht, dass man den schwulen Belgier mit seinem Angeberschnurrbart oder das von allerlei Zipperlein geplagte, abgrundtief nervtötende Jungfräulein Marple schlicht und einfach zum Teufel wünscht.

Obiges gilt natürlich zu 100% für neunmalkluge Dorfpfarrer, pensionierte Richter und bauernschlaue Vertreter des niederen Provinzadels, wobei man konstatieren darf, dass fast jede dieser aufgesetzten, moralisch überragenden und schein-integeren Protagonisten ein ganz besonders schmerzvolles Ende aus dem reichhaltigen Tötungsarsenal ihrer Erfinderin verdient hätten. Aber wir wollen nicht persönlich werden, sondern noch einmal den Punkt der idiotischen – oder sagen wir hier lieber – der irrationalen Settings aufgreifen, die ein wesentliches Verwirrungsmittel im perfiden Spiel der Autorin darstellen.

Wird als App fortgesetzt...